Im Feindeslager

Es war leer beim Frisör. Das ist nicht oft der Fall zu den Uhrzeiten, an denen ich dort auftauche. Eine Chance, die man nutzen muss. Also strammen Schrittes durch die Tür, ein fröhlichen “Guten Abend” in die kleine Runde geträllert und mit dem iPhone lustige Dinge tuend auf dem unbequemen, kunstbelederten Stuhl Platz genommen. Der Herr, der noch haartechnisch beschnitten wurde, war bald fertig. Genau genommen hätte ein kräftiger Windstoß gereicht, um den dezenten Flaum ins coiffeurische Nirwana zu pusten. Er bezahlte, die paar Flusen auf dem Boden wurden zur Seite gewischt und schwupp war ich auch schon dran.

Nun sitzt man also da. Einen Papierstreifen straff um den Hals und diesen Plastikponcho noch straffer darübergeschnallt.
“Wie soll’s sein?” “Maschine, 9mm, der Rest von Hand.” Hm. Das klingt fast wie ein Auftragsmord, wenn man es sich recht überlegt. Je nach Frisör kann es auch ähnlich aussehen. Ich war aber schon einmal bei dieser Dame und da es dabei zu keinen größeren Verletzungen kam, war auch diesmal so etwas wie ein Grundvertrauen da. Es wurde jäh erschüttert.

Mit der Schere nahe meinem Ohr, eingehüllt in diesen unsäglichen Plastikumhang – also mehr oder weniger vollkommen wehrlos – fing sie auf einmal an, wie enttäuscht sie sei. Mein erster Gedanke war: “Super, noch eine Psychopathin. Als ob ich davon nicht schon genug um mich herum hätte.” und ich wollte schon jeglichen näheren Kontakt mit ihr ausdrücklich dementieren oder, je nach Reaktion und Gegenwehr, zumindest einfach mal Zeit gewinnen, indem ich mich für alles entschuldigte, was ich ihr jemals angetan hätte. Sie sei so enttäuscht wegen den Wahlen gestern. Aha, also tatsächlich eine Psychopathin. Aber immerhin ging es nicht um mich persönlich.

Wenn Leute dumme Dinge sagen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel versuchen, sie darauf aufmerksam zu machen, dass das, was sie gerade sagten dumm war. Grundsätzlich eine gute Sache, empfiehlt sich aber nicht bei Psychopathinnen, die mit Scheren an einem herumfummeln. Ich wählte deshalb eine Alternative: ignorieren. Das hätte auch wunderbar funktioniert, hätte sie mich nicht nach meiner Meinung gefragt …aber was sind schon eine verhunzte Frisör, ein Schnitt ins Ohr und eine kleine Stichwunde im Nacken gegen die Genugtuung diese Worte in der Öffentlichkeit sagen zu können: zum Glück ist dieser dämliche Mappus weg*!

* Sie hat mir natürlich weder ins Ohr geschnitten, noch die Schere in den Nacken gerammt, geschweige denn ihren Edenkodex als Frisörin mit einer verhunzten Frisur verletzt. Aber ich befürchte, sie war danach zusätzlich zum Wahlausgang auch noch von mir enttäuscht. Aber da kann man nichts machen.