Unser Dorf wird aussterben. Schnief.

Als ich heute mit dem Junior vom Kickschuhkauf zurück fuhr, stiegen dicke, schwarze Rauchschwaden aus der Mitte unseres schönen Ortes auf. Auf den ersten Blick sah es nach Ortsrand aus, aber je näher man kam, desto mehr war klar, dass es eher Ortsmitte war – und das auch noch in der Nähe meiner Eltern. Es brannte aber nicht bei ihnen, sondern anscheinend mehr oder weniger direkt nebenan.

Direkt nebenan ist ein Stall, bevölkert mit Kutsche und dazugehörigen Pferden. Den Tieren scheint aber nichts passiert zu sein – zumindest lag in der Luft kein Geruch von Lasagne, wie man es bei gegrilltem Pferd ja erwarten sollte. Die Kutsche (ich weiß gar nicht, ob es da nur eine oder mehrere gibt) sah ich später um die Ecke auf der Straße stehen – der ist also wohl auch nichts passiert. Soweit so gut. Entwarnung für alle, die sich ein Kutschen- und Pferdeloses Leben nicht vorstellen können. Auch für die, denen Pferde wichtig sind, Kutschen aber sonstwo vorbeigehen: alles gut. Oder jene, die Kutschen super, aber Pferde scheiße finden: der Kutsche gehts gut, den Pferden leider auch. Für mich gilt ja: jedem seine Kutsche, der das braucht. Meinetwegen auch noch ein paar Pferde dazu. Aber ich brauche das nicht. Das letzte Mal saß ich vor vielen Jahren in einer Kutsche. Diese Kutsche war auf dem Karussell beim hießigen Jahrmarkt und ich betrunken (hoffe ich zumindest: ich fand das nämlich total witzig und toll und es wäre mir peinlich, das in nüchternem Zustand witzig und toll gefunden zu haben). Sollte ich jemals auf einem Pferd gesessen haben, hat sich das nicht als Erinnerung in mein Gehirn gebrannt. Vielleicht saß ich mal auf einem Pferd, vielleicht auch nicht. Sollte ich eines Tages in einer Nacht- und Nebelaktion von Agenten betäubt, gefesselt und entführt, in einem leisen, weil im Flüstermodus fliegenden Kampfhubschrauber in eine extrem entlegene Gegend weit draußen in den braunen Sümpfen von Sachsen gebracht und dort von einem der erfahrensten Verhörprofis der Truppe gefragt werden: „Sind Sie schon einmal geritten? Waren Sie schon einmal auf einem Pferd??? Sagen Sie die Wahrheit, wir merken sofort, wenn Sie lügen und wir mögen es gar nicht, wenn wir belogen werden! Also: Waren Sie schon einmal auf einem Pferd?“… ich könnte – und zwar ohne zu lügen – sagen: „Keine Ahnung. Ich glaube nicht, kann mich aber auch irren.“

Die Kutsche ist also noch intakt, die Pferde wiehern zwar aufgeregt, aber lebendig vor sich hin…nur… warum dann der viele schwarze Rauch. Wenn man mal genauer drüber nachdenkt, kommt man relativ schnell auf die Lösung. Kutsche… Pferde… Ahhhhh! Stroh! Und wenn man so im Nachdenkmodus ist und nicht rechtzeitig abbremst, legt sich das Gehirn nochmal so richtig ins Zeug und schwupp kommt da eine Erkenntnis hochdramatischen Ausmaßes. Das Stroh! Es ist verbrannt! Es ist weg, hat sich in Rauch aufgelöst, die Zukunft ist strohlos. Kein Stroh mehr da! Furchtbar! Grausam! Schlimm, schlimm, schlimm!
Horden von Kerlen mit Masken werden durch die Gegend irren, dazwischen Frauen in gewagter Kleidung. Sie laufen durch die Straßen, ihre Blicke suchen den Boden ab, aber nichts! Weit und breit kein Stroh und somit kein Grund, die Damen zu fragen, warum das da liegt. Abends gehen alle nach Hause, jeder zu sich, einsam und frustriert, nur um am nächsten Tag wieder die Straßen zu durchsuchen. So wird das für lange Zeit weitergehen – Tag für Tag. Einsame Männer mit Masken auf der Suche nach Stroh und aufreizend gekleidete Damen, die sich über die Masken wundern, aber sich nicht trauen nachzufragen und vor allem: keinerlei Interaktion zwischen den beiden Parteien!
Somit wird unser Schicksal besiegelt sein: Unser kleines, liebenswertes Dörflein wird leider aussterben, weil es keine Nachkommen mehr gibt. Und schuld ist nur dieser Brand, der das ganze Stroh vernichtet hat. Traurig, aber wahr…

Man ist nicht unbedingt auf Hawaii, nur weil es kein Bier gibt

Seit geschätzten vier Jahren ist Bart beim Mann ja wieder in. Insofern kann man es nicht wirklich als „auf den fahrenden Zug aufspringen“ bezeichnen, wenn ich da jetzt auch mitmische. Tatsächlich ist „mitmischen“ auch heftig übertrieben. Es wuchert halt so vor sich hin und wird nicht jeden zweiten oder dritten Tag geschoren, aber Bart kann man das eigentlich nicht nennen – aber in Anbetracht der Tatsache, dass man das Wort „Gesichtswucherung“ im Duden nicht findet (bzw. schon, aber die meinen etwas medizinisches und das ist mein „Bart“ nun wirklich nicht), nenne ich ihn eben trotzdem so. Also habe ich jetzt Gesichtswucherung Bart.

Es ist nicht schön, wenn man älter wird. Die Sehkraft lässt nach und man braucht eine Brille (wenn man vorher schon eine hatte, braucht man immer stärkere Gläser und irgendwann haben die Dinger die Dicke von den Sicherheitsscheiben, die früher in Banken und Postfilialen verbaut waren), man stöhnt jedesmal, wenn man aufsteht und man stöhnt, wenn man sich hinsetzt. In anderen Situationen stöhnt man auch – meistens, wenn wenn man die blöden Pillen vergessen hat (aber eigentlich ist einem auch die Anstrengung fast zuviel, weshalb man ganz froh ist, dass Weihnachten nur einmal im Jahr ist und an Ostern schon länger keine Eier mehr gesucht werden, wobei man sich eigentlich ab Fronleichnam wieder auf Weihnachten freut, weil – so sagt einem die vita-buarlecithin-getunte Erinnerung: schön ist es ja schon…) und überhaupt stöhnt man allgemein ziemlich viel: über zu weite, zu steile, zu enge, zu matschige, zu grasige, zu verwinkelte Wege, über das grelle Licht im Wartezimmer der diversen Ärzte (es ist eine Verschwörung: es ist überall viel zu grell!), wo man mittlerweile Stammgast ist, über die Jugend von heute und das Scheisswetter von morgen… eigentlich stöhnt man über alles.
Auch ganz furchtbar: das Haupthaar wird grau. Oder fällt aus. Bei mir ist es ersteres. Wo vorher ein zarter dunkelblonder Straßenköterfarbton die herb-männliche Stirn umrahmte, ist jetzt ein steingraues Meer. Die Natur kann so grausam sein. Naja, es könnte schlimmer sein (Hallo Haarausfall!), aber trotzdem…

Aber Natur ist nicht umsonst weiblich und deshalb legt die Natur noch eine Schippe drauf: die Gesichtswucherung der Bart ist auch grau… ABER nicht durchgehend! Tatsächlich mischt sich hier und dort ein Mausgrau unters vorherrschende Steingrau; gelegentlich ist auch ein Zementgrau dabei. Das alleine ist schon nicht schön, aber der Natur reicht das noch nicht. Sie ist der Meinung, dass man dem Bereich über der Oberlippe einen Ausflug in die Vergangenheit und somit einen Hauch von Straßenköterdunkelblond gönnen sollte. Im Zusammenspiel mit den Grauschattierungen rundherum sieht das wie ein Pornobalken aus. Bei Magnum war sowas ja noch ok, bei mir sieht es aber doof aus. Liegt vielleicht am fehlenden Ferrari oder daran, dass das Licht auf Hawaii solchen Oberlippenbürsten schmeichelt. Ich habe aber keinen Ferrari und das einzige, was diese Location mit Hawaii gemein hat ist, dass es hier gerade auch kein Bier gibt. Ich wäre also gerne auf Hawaii (und gerne auch mit Bier) und ich möchte einen Ferrari. Sollte das nicht machbar sein, will ich zumindest Fairness in Sachen Bartfarbschema. Weil: färben werde ich den nicht!

Nun hadere ich mit dem Schicksal: soll ich der Natur trotzen und weiterhin mit magnumeskem Schnauzer (optisch! Tatsächlich ist da ja noch mehr Bart – nur halt in dezenten, sich in den Hintergrund stellenden Grautönen) durch die nur aufgrund fehlenden Bier wegens Hawaii ähnlichen Gefilde wandeln und der Gesichtswucherung dem Bart seinen Lauf lassen oder breche ich das Experiment ab? Hm *durchdenbartwuschel* mal schauen.

Martin, Kevin, Markus, Klaus und der Rhein

Vorgestern gab es Zeugnisse. Das ist immer eine stressige und anstrengende Zeit: sowohl für den Junior, wie auch für mich. Der Junior legt so nebenbei das Zeugnis irgendwo ab, nuschelt was von „Zgnis. Nda“ und versucht sich zu verkrümeln. Klappt natürlich nicht, denn der Herr Papa lernt ja dazu im Laufe der Jahre (bzw. Halbjahre) und hat alle Fluchtwege verriegelt. Hah!

Ich erwische den Junior, wie er versucht, sich durch die Katzenklappe zu zwängen (gleich mal notieren für den Juli: Katzenklappe zumauern!) und zwinge ihn an den Tisch, damit wir uns gemeinsam der Lektüre des Zeugnisses widmen können. Das Kind ist hocherfreut – zumindest interpretiere ich sein Augenrollen so. Kann man eigentlich Augenmuskelkater bekommen? Wenn ja hat der Junior einen, denn die Augen kommen aus dem Rollen gar nicht mehr heraus. Er soll froh sein, dass es nur die Augen sind – bei so einem Zeugnis könnte es auch gut der Kopf sein, der da rollt. Ich erläutere ihm, was solche Noten für sein weiteres Leben bedeuten (Augenrollen seinerseits), dass er sich die Zukunft damit komplett verbaut (Augenrollen), dass das Leben kein Ponyschlecken Ponyhof (noch mehr Augenrollen) und überhaupt das alles ja ganz furchtbar ist (Seufzen seinerseits. Plus Augenrollen). Es folgt das Übliche:

„Aber der Martin hat in Mathe sogar eine Vier und der Kevin auch!“
„Und wenn Martin in den Rhein springt, springst Du dann auch?“
„Wenn der Kevin mitspringt ja!“

Ich habe große Lust, Martin und Kevin in den Rhein zu schubsen, aber weder Martin, noch Kevin geschweige denn den Rhein zur Hand. So ist das mit deutschen Flüssen: nie da, wenn man sie mal braucht. Martine und Kevins könnte man ja auf die Schnelle noch auftreiben, aber den Rhein… Egal. Ich mache weiter mit Erziehung. Auch da die Standards: Das wars! Jetzt hat es Konsequenzen! Kein Internet mehr, natürlich auch kein Fernsehen (außer Sendung mit der Maus oder so Bildungssendungen. Da gehört im weitesten Sinne ja auch Big Bang Theorie dazu… zumindest wenn ich da bin und mitschauen kann. Die Hälfte meines Wissens über wissenschaftliche Phänomene habe ich von Dr. Sheldon Cooper, das ist also durchaus lehrreich!) und Martin und Kevin haben Hausverbot. Überhaupt sind Treffen mit den Beiden in nächster Zeit tabu – Treffen am Rhein wird es mit den Beiden überhaupt nie geben.

Jungs in dem Alter ignorieren ja das meiste, was Erwachsene ihnen sagen – wie man ja auch am Zeugnis sieht – also erläutere ich dem Junior nochmal ausgiebigst und in düsterstem Schwarz seine traurige und erbärmliche und überhaupt ganz grausame Zukunft, wenn die Noten auf dem Level bleiben (Augenrollen). Er steht auf und geht in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Außerdem schickt er sich an, die Schublade zu öffnen, in der Schokolade liegt. Ich halte ihn zurück.
„Schokolade ist keine Lösung! Es sei denn, Du musst ausrechnen, wieviel jeder bekommt, wenn Du zwei Tafeln, bestehend aus jeweils 15 Stückchen hast und das auf Dich, Martin und Kevin bei einem gemeinsamen Ausflug an den Rhein aufteilen musst, was Du aber nicht musst, denn ihr werdet niemals gemeinsam am Rhein sein! Also Finger weg von der Schublade“

Er rollt mit den Augen und zieht von dannen.

Natürlich wäre so ein Stück Schokolade ok gewesen. Martin und Kevin sind schließlich nicht da …dafür aber meine alten Zeugnisse in der Schokoladenschublade. Ich habe sie im Wissen um die Zeugnisausgabe des Juniors dort versteckt. Muss ja nicht sein, dass er die im Aktenschrank sucht (und auch findet) und ich in Erklärungsnot wegen meiner damaligen Noten komme.
Das war ja damals auch alles ganz anders als heute, das kann man überhaupt nicht vergleichen. Ich hatte einfach doofe Lehrer. Die konnten nichts gescheit erklären. Die Wissenschaft war natürlich auch noch nicht auf dem Level von heute und man spürte instinktiv, dass das, was da in den Büchern steht nicht stimmen konnte – und automatisch schaltet das Gehirn dann ab. Kennt die Jugend von heute nicht mehr. Und Mathe… keine Ahnung, was da war. Lag bestimmt auch am Lehrer. Und außerdem hatten Markus und Klaus noch viel schlechtere Noten in Mathe als ich!
Weiß gar nicht, was aus den beiden wurde. Die durften plötzlich nicht mehr zu uns nach Hause und wenn die schwimmen gingen durfte ich nicht mit. Komisch.

Deutsche Frikadellen futtern!

In unserer kleinen Gemeinde hat sich jemand die Mühe gemacht, die Straßen mit AfD-Plakaten zu – naja, verschönern würde ich es nicht unbedingt nennen. Die Plakate sind heben sich zwar farblich von dem Gedankengut der Partei ab – sie sind blau und nicht braun, aber schön ist trotzdem anders.

Bis vor ein paar Jahren hatten wir auch immer mal wieder Veranstaltungen der NPD im Ort. Das war in einer gutbürgerlichen Gaststätte, in der heute ein Asia-Imbiss residiert. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Bin gespannt, wo sich die AfD-Nasen treffen wollen – soviele Möglichkeiten gibt es da nicht und man kann als „Ich bin zwar kein Nazi, aber…“-Leuteandergrenzeabknallwoller nicht zum Griechen oder Italiener! Wo kämen wir denn da hin? Dann lieber noch am Imbiss treffen: Deutsche Frikadellen futtern – Wutbürger, äh Wutburger für alle. Könnte man eigentlich direkt auf die unschönen blauen Plakate drucken: „Deutsche Frikadellen futtern!“. Ein McAllemania für einen Streifschuss, bei einem direkten Treffer gibts noch eine Portion Pommes kostenlos dazu. Das darf man aber nicht auf die Plakate schreiben. Noch nicht.

Jedenfalls hängt jetzt an so ziemlich an jeder Laterne ein dämliches AfD-Plakat. Das dürfte einer der wenigen Momente gewesen sein, an dem der aufhängenden Person ein Licht aufgegangen ist. Und dann auch noch gleich so ein helles. Darauf einen McAllemania.