Figaros, Barbiere, Trump und Johnson

Ich bin mir sicher, dass es nicht an mir liegt, aber trotzdem…

Beim ersten Mal war ich bei Vanessa, beim zweiten Mal hat sich Vanessa verleugnen lassen konnte Vanessa nicht, also war ich bei Anika. Da war ich auch beim dritten Mal und wäre beim vierten Mal gerne wieder zu ihr, aber es hieß, Anika sei nicht mehr da. Nicht an diesem Tag, nicht am Tag darauf, sie wäre nie mehr da. Also war ich wieder bei Vanessa, die wohl das Pech hatte, innerhalb der Anika-Phase nicht zu vermerken, dass man mich bitte niemals nie ihr als Vertretung zuordnen solle. Pech gehabt. Besuch Nummer fünf war also wieder bei Vanessa. Das Mädchen ist aber clever und deshalb hatte sie diese Woche leider „keine Zeit“. Ich könne aber zu Thomas.

Früher gabs Figaros und Barbiere, die dann zu Friseuren wurden. Irgendwann kam dann mit Rosa Praunheim und dem heißen Stuhl (das war eine Sendung und es ging um die gleichnamige Sitzgelegenheit) eine Outingwelle und plötzlich nannten sich die schwulen Friseure „Coiffeur“. Das reicht aber mittlerweile auch nicht mehr, denn –  so sagte mir die Dame am Telefon, nachdem sie mir erläuterte, dass das nichts mehr wird mit Vanessa und mir – Thomas sei ein Hair-Stylist.

Thomas ist klasse. Er ist total nett und sympathisch, er wäscht einem die Haare, dass man kurz erwägt, dieses langweilige Leben als Hetero über Bord zu werfen und sich von ihm den Rest seines Lebens die Haare waschen zu lassen und er macht seine Arbeit extrem gut. Nur… bei mir ist da nicht viel zu machen. Da sind Haare. Die wachsen. Irgendwann haben sie eine Länge hart an der Grenze zum Inakzeptablen. Der nächste logische Schritt wäre dann, sie abzuschneiden. Ich habe das mit dem Haareselbstschneiden mal probiert. Zum Glück beim Junior, denn das sah dermaßen furchtbar aus… deshalb machen das bei mir Vanessa, Anika und nun Thomas. Nicht, dass es da eines exorbitanten Friseurwissens bedarf, aber die haben da einfach den Blick für, was von der grauen Masse nun weggeschnitten werden kann und was man wohl besser mal lässt. Und Thomas, der Hair-Stylist, hat aufgrund seines Hair-Stylisten-Wissens nochmal doppelt soviel Ahnung – was übrigens auch mehr kostet. Vanessa und Anika waren günstiger. Aber auch schneller. Bei gleichem Ergebnis, nämlich: Haare kurz. Aber egal. Anika ist nicht mehr, Vanessa will nicht mehr, Thomas hat wahrscheinlich beim Auslosen verloren und muss nun ran.
Ich habe es ihm aber einfach gemacht und die ganze Zeit die Klappe gehalten, Atmung und Transpiration auf ein Minimum reduziert und war auch ansonsten pflegeleicht. Dazu gabs ein üppiges Trinkgeld und viel Lob. Sollte Thomas bei meiner nächsten Terminanfrage plötzlich auch nicht da sein, keine Zeit haben oder anderweitig verhindert sein, liegt es wahrscheinlich doch an mir.

Am meisten Angst macht mir ja, dass Donald Trump und Boris Johnson Frisuren haben, als wäre ihnen genau das passiert. Als hätten sämtliche Vanessas, Anikas und Thomasse dieser Welt gesagt, dass es grad nicht ginge, dass sie keine Zeit hätte, dass sie nicht da seien. Und schwupp hat man da durchgeknallte Typen mit seltsamen Frisuren und wirren Ideen. Blüht mir das gleiche Schicksal? Muss ich mit viel jüngeren osteuropäischen Models schlafen und Folter gut finden? Werde ich Bürgermeister von London?
Das ist ja furchtbar!!! Hm, wobei… Hm… Vielleicht sage ich meinen Termin bei Thomas nächsten Monat doch ab.

Die griechische Kollegin mit der musikalischen Macht und die massierenden ITler

In Guantanomo Bay werden die Gefangenen durch dauerhafte Musikbeschallung gefoltert, in der Hoffnung, sie mürbe zu machen und zu brechen, auf dass sie doch endlich zugeben, was immer zuzugeben ist. Das ist nicht schön, aber in Zeiten, in denen Trump als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen könnte, sollte klar sein, dass Amerika nicht unbedingt immer ein Sinnbild von Schönheit ist – schon gar nicht in Bezug auf Moral, Ethik und solchem Firlefanz.

Musik wird also auch schon mal als Folterinstrument eingesetzt. Kann ich auch gut nachvollziehen: der Nachbarsjunge spielt Schlagzeug und ich habe mal über einer Familie gewohnt, wo die Tochter keine Ahnung von Klarinette hatte, diese Tatsache aber ignorierte und ausgiebig Klarinette… naja, spielte wäre übertrieben. Sie quälte sie und somit auch mich. Das war quasi Guantanamo light mitten in München.

Ich bin also ein gebranntes und vor allem gequältes Kind und folglich mache ich mir Sorgen, wenn plötzlich Dinge musikalischer Art geschehen, die so nicht vorhersehbar oder angekündigt waren. Ich sorge mich zum Beispiel, weil in der Firma plötzlich Boxen in den Fluren stehen. Diese Boxen sind Teil eines großen Soundsystems (eines edlen Soundsystems), das fortan alle Flure im ganzen Gebäude einheitlich beschallen wird. Man kommt also nun aus dem Büro mit den typischen Bürogeräuschen („Setz nochmal Wasser auf!“, „In fünf Minuten ist Meeeeeting!“, Tippetitippetitipp, „Einen schönen guten Morgen, mein Name ist xyz, was kann ich für Sie tun?“) in einen bisher ruhigen, nun akkustisch untermalten Flur. Noch ungewohnt und… gebranntes und gequältes Kind … mit einer gewissen Sorge verbunden.

Bisher läuft so Easy-Listening-Esoterik-Gedudel. Man wähnt sich beim Gang durch den Flur ein bisschen in einem Wellnesstempel – allerdings ohne Whirlpool, Sauna oder Massage. Letzteres bekämen wir vielleicht noch hin – man sagt, die Jungs aus der IT hätten gelenkige Finger vom Serverschränkebestücken, aber ich weiß ja auch nicht… So eine Massage im Flur. Hm. Ob das entspannend ist? Immerhin würde ich bei dem Gelaber über Microsoft-Updates und Festplattengeschraube höchstwahrscheinlich in einer Millisekunde einschlafen, aber das bekäme ich bestimmt von der Arbeitszeit abgezogen und das muss dann ja auch nicht sein.*
Die Macht über das, was über das allumfassende Soundsystem läuft, hat übrigens die griechische Kollegin. Das habe ich heute vormittag erfahren und schwupp war da wieder – gebranntes und gequältes Kind – diese Sorge. Es wurde nicht besser, als sie erzählte, dass sie früh morgens, wenn sie noch alleine da ist, gerne mal griechische Musik durch die Flure jagt. Griechische Musik? Das sind dann wohl Songs wie der hier

aber ich glaube, sie meinte nicht sowas. Die Sorge wurde größer… Überhaupt: wie kann man die Macht über so etwas wichtiges wie GefangenenMitarbeiterbeschallung einer Frau überlassen? Es ist doch bekannt, dass es da gelegentlich zu…hm…sagen wir…leichten Schwankungen in der grundsätzlichen Stimmungslage kommen kann. So kleine, fast nicht wahrnehmbare Veränderungen. Vergleichbar mit Erdogan, dem man seine Verstimmungen ja auch nur anmerkt, wenn man ganz genau hinhört. Man stelle sich vor, Erdogan dürfe darüber bestimmen, was ich im Flur zu hören bekomme. Furchtbar! Zum Glück hat er nicht soviel Macht. Dafür aber die Kollegin. Sorge, Sorge, Sorge (gebranntes und gequältes Kind, sage ich da nur)!

Aber es hilft alles nichts. Man muss eben die Tür zum Flur langsam öffnen und lauschen, was da durch den Äther rauscht und wenn es hart auf hart kommt, wenn der absolute Notfall eintritt, wenn gar nichts mehr geht (Ich rede von Helene Fischer unplugged oder ähnlichem), wenn auch auf Hilfe von außen keine Hoffnung besteht, habe ich vorgesorgt: im Schreibtisch liegt eine Stricknadel mit 5 Millimeter Durchmesser. Es ist nur ein kurzer Schmerz sagt man, aber sobald das Trommelfell durch ist, hört man nichts mehr. Zumindest auf dem einen Ohr. Dann das gleiche nochmal beim anderen Trommelfell.
* Jetzt habe ich Bilder von mich massierenden IT-Menschen im Kopf und möchte mir die Stricknadel am liebsten direkt ins Gehirn stechen.