„Möchten Sie Betäub…“ „JA!“

Ernsthaft: mein Interesse an Masochismus tendiert gegen Null. Ab und an mal Xavier Naidoo im Auto und gelegentlich die Ohrstöpsel rausnehmen, wenn im Wohnzimmer „Brisant“, „Prominent“ oder sonstiger tv-medialer Dünnschiss läuft. Das wars aber schon. Ich erwähne das deshalb, weil man mir auch eine gewisse Schmerzaffinität andichten könnte – so oft wie ich beim Zahnarzt bin. Ja genau, heute war ich wieder mal: eine sensible Stelle wollte repariert und entsensiblisiert werden. Reparieren und entsensibilieren… das klingt wie ein Job für den Psychologen nach einer schwierigen Beziehung, aber in meinem Fall ging es um kaputten Zahnschmelz und so Kram. Beziehungstechnisch gab es da höchstens Unstimmigkeiten mit der Zahnfee, aber mit der habe ich schon seit D-Mark-Zeiten nichts mehr zu tun.

Auf dem Röntgenbild sah das alles eher harmlos aus. Ein kleiner Zahn, noch nicht mal einer von der Front, sondern ein Hinterbänkler, mit einem kleinen grauen Fleck, der noch dazu weit weg von Wurzel und Zahnfleisch war. Ein Klacks. Hätte ich eigentlich auch selber reparieren können.
Bei „So isses“, einer Sendung mit Jürgen von der Lippe aus grauer Vorzeit, war mal einer, der sich die Zähne selbst richtete. Er nutze dafür eine umgebaute Bohrmaschine, einen Spiegel und als Füllung Zwei-Komponenten-Kleber. Hat funktioniert, auch wenn ein anwesender Zahnarzt die Hände über dem Kopf zusammen schlug. Das ist aber schon sehr sehr lange her. Mittlerweile hat sich die Bohrmaschinentechnik sprunghaft weiterentwickelt und ähnliches gilt sicherlich auch für die Wirkung von Zwei-Komponenten-Kleber. Insofern hätte ich also diese kleine dentale Sache tatsächlich selbst machen können, aber man soll ja „local buyen“, also vor Ort einkaufen. Das gilt sicher auch für ärztliche Leistungen, wobei ich eh nicht auf die Idee käme, mir einen Satz Kronen bei Amazon zu bestellen, um mir die dann auf die Zahnstümpfe zu dengeln. Gleiches gilt für kleine graue Flecken auf Hinterbänklerzähnen. Da darf die Frau Doktor dran (wobei die gar nicht Frau Doktor ist, aber das erkläre ich ein andermal). Sollte ja auch schnell gehen. Wahrscheinlich dauert das Aufhängen der vom Regen durchtränkten und entsprechend schweren Jacke an den etwas schwachbrüstigen Haken länger als die Behandlung – dachte ich so bei mir, aber ich irrte. Ok, das Aufhängen ging auch erstaunlich schnell – die Haken sind gar nicht solche Luschen wie es zu Anfang scheint, aber dafür zog sich der Rest.

„Möchten Sie Betäub…“
„JA!“

Wenn ich das richtig (so mit halbem Ohr) verstanden habe, heißt das in der Branche „einspritzen“. Erinnert im ersten Moment an eine KFZ-Werkstatt oder den Dreh eines Filmes der besonderen Sorte, aber scheint auch im Dentalgewerbe geläufig zu sein. Ich wurde also eingespritzt. Lief super: nach fünf Minuten merkte ich schon nicht mehr, wie ich über die taube Lippe aufs Hemd sabberte. Von dem ganzen Rumgebohre, Geschleife und was die sonst noch so in meinem Mund angestellt haben, spürte ich tatsächlich nichts. Dafür kam wieder diese extrem fiese Schluckreiz und natürlich immer dann, wenn es gerade gar nicht ging. Schlimmer war eigentlich nur noch der Drang den Mund zu schließen. Dieser Drang kommt immer exakt nachdem einem gesagt wird: „Jetzt bitte den Mund offen lassen!“ Hat was von dentalem Punk und Widerstand gegen die Oberen. Ich mach meinen Mund zu, wann ich will! Scheiß auf dieses komische Metalldingens, das ihr mir um den Zahn geschraubt habt! Ich mach den Mund zu, wann ich will! Ok, ist dann doch kein Punk und hat wenig mit Widerstand zu tun: da macht man den Mund ja eher auf, denn zu.
Der kleine graue Fleck am Hinterbänklerzahn war gar nicht so ohne und es zog und zog sich. Am Ende saß ich mehr als eine halbe Stunde auf dem Behandlungsstuhl (gefühlt zwei Wochen. Mit abwechselnd ein Tag chinesische Wasserfolter, ein Tag Auspeitschen, zwei Tage Waterboarding) und um die Erfahrung reicher, dass kleine graue Flecken manchmal ganz schön heftig sein können.

Zuhause angekommen habe ich gleich mal im Internet recherchiert. Eine gute Bohrmaschine bekommt man ab 50 Euro aufwärts, bei Zwei-Komponenten-Kleber ist man so ab 6 Euro dabei. Hm.

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